Um es gleich vorwegzunehmen: Wie bei allen Aussagen über eine ganze Nation soll hier nicht pauschalisiert werden. Es gibt aber Tendenzen, die sich aus den gemeinsamen Werten der Kultur, der Erziehung und dem Bildungssystem ergeben.
Bei der Nippon Connection waren ganz unterschiedliche Japaner zu Gast mit ganz unterschiedlichen Englischkenntnissen: Japanerinnen, die mit Deutschen verheiratet sind sprechen in der Regel recht gut deutsch, aber ihre Englischkenntnisse - oft sowieso nicht gut - verkümmern schnell, wenn sie diese nicht regelmäßig nutzen, genauso wie bei uns auch. In den traditionellen Künsten beheimatete Japaner sprechen selten eine Fremdsprache. Eine große Ausnahme bei den folgenden Bemerkungen zu den Englischkenntnissen der Japaner bilden Menschen aus der Präfektur Okinawa. Sie haben die Chancen genutzt, die sich mit der Anwesenheit der amerikanischen Soldaten bieten: Besuch der amerikanischen High School, Freundschaften mit Amerikanern und Auslandsaufenthalt mit oder ohne Stipendium - so können viele der gebildeten Okinawaner nahezu perfekt Englisch. Aber nun zur breiten Masse der Normal-Japaner:
Die Englischkenntnisse der Japaner
Wie auch bei uns in Deutschland ist Englisch ein Pflichtfach in der Schule – in Japan sogar die einzige Fremdsprache, die als Pflichtfach an allen Mittelschulen und Oberschulen, also recht spät, erst ab dem 13. Lebensjahr gelehrt wird. Leider steht aber statt Konversation die Grammatik im Mittelpunkt des Unterrichts. Es wird hauptsächlich gelesen und übersetzt – ganz so wie bei uns der Lateinunterricht meist abläuft. Die Lehrer sind ohne Ausnahme Japaner, die zwar Anglistik studiert und dann eine Zusatzausbildung in Pädagogik absolviert haben. Ein Auslandsaufenthalt in einem englischsprachigen Land dürfte nicht unbedingt Pflicht sein. Seit vielen Jahrzehnten haben Angehörige englisch-sprachiger Nationen die Möglichkeit eine Weile als Englischlehrer in Japan zu arbeiten. Sie sind dabei in Teams in einer Präfektur oder größeren Stadt angesiedelt und bedienen alle öffentlichen Mittel- und Oberschulen reihum – heute in der einen und morgen in einer anderen Schule. Da sie im Team arbeiten, hat keiner einen festen Bezug zu einer Klasse oder Schule. Für die Schüler bedeutet das, dass sie etwa einmal im Monat Konversationsunterricht bei einem Amerikaner, Australier oder Neuseeländer haben – selten ist einmal ein Brite dabei – und wenn sie Glück haben, sehen sie diesen Lehrer noch zwei oder dreimal im selben Schuljahr, vielleicht sogar auch im folgenden Schuljahr noch, haben aber keine Chance sich an die Aussprache eines bestimmten “native speakers” gewöhnen zu können. Für den Lehrer bedeutet dies, dass er sich auf immer neue Schüler einstellen muss und nicht unbedingt auf die Übungen aus einer zeitnahen, früheren Stunde aufbauen kann.
Das japanische Erziehungsministerium erkannte selbstverständlich, wie wichtig Englischkenntnisse im Zeitalter der Globalisierung geworden sind: Mitte der 1990er Jahre entfiel für alle Studiengänge – außer den Geisteswissenschaften – das Studium einer zweiten Fremdsprache um in der gewonnenen Zeit die Englischkenntnisse zu stärken, denn im ersten Studienjahr ist weiterhin Englisch eine Pflichtveranstaltung. Auf diesem Level kommt es nun häufiger vor, dass ausländische Studenten im Nebenjob einen Konversationskurs auf universitärem Level angeboten bekommen. Auch ich durfte fast die ganze Zeit während meines Studienaufenthaltes neben einem Deutschkurs auch Konversationskurse oder Lektürekurse in Englisch halten. Auf meine Frage hin, ob denn das so sinnvoll sei, dass ich als Deutsche Englisch unterrichtete, antwortete man mir: “Ihr Englisch ist bei weitem besser als das eines Japaners, und Sie haben Erfahrung!”
Meine Erfahrung bestand jedoch aus meinem Englischunterricht in Deutschland, sowie relativ engem Kontakt mit und häufigeren Besuchen bei der Verwandtschaft in England oder Kanada. So durfte ich dann mit meinem deutschen Verständnis eines Sprachunterrichts, in dem die mündliche Beteiligung natürlich sehr wichtig ist, darum kämpfen, dass meine japanischen Studenten überhaupt den Mund aufmachten! Welch verloren Liebesmüh, wenn für 99% dieser Jura- und BWL-Studenten ein Auslandsaufenthalt oder gar eine Arbeitsstelle bei einem internationalen Konzern nicht in der Lebensplanung vorgesehen ist.
Bei vielen Familien der sehr kleinen Oberschicht gehört allerdings ein längerer Auslandsaufenthalt entweder schon während der Oberschulzeit oder spätestens im Studium dazu. Dort ist es keine Seltenheit, dass sogar das gesamte Studium in den USA absolviert wird. So mancher Manager eines international aufgestellten Konzerns nutzt die Zeit seiner Entsendung ins Ausland, seine Sprachkenntnisse des Englischen, aber auch anderer lokaler Sprachen zu perfektionieren. Diese Generation hat ja auch noch während des Studiums mindestens ein Jahr Deutsch oder Französisch, seltener Chinesisch oder Koreanisch gelernt.
Natürlich boomt auch in Japan der Fremdsprachenunterricht auf dem privaten Sektor und es gibt unzählige Sprachschulen mit den verschiedensten Kursen, die umso teurer sind, umso mehr ihrer Schüler die offiziellen Sprachtests bestehen. Weitaus günstiger sind da die Sprachkurse am Radio und Fernsehen am frühen Morgen oder auch abends – das Lehrmaterial gibt es für wenig Geld im Buch- handel. Viele Berufstätige traben jahrelang mehr oder weniger regelmäßig in einen solchen Kurs. Deshalb wird einem Ausländer, der sich beispielsweise in Tokyo auf der Straße hilflos umsieht, auch gleich geholfen – wittert der Japaner dabei doch die Chance, seine Sprachkenntnisse an einem “native speaker” auszuprobieren. Weiter auf dem Land, kann es einem aber auch noch passieren, dass die Japaner aus Scham über ihre schlechten Englischkenntnisse einen Ausländer zu ignorieren versuchen. Wenn Sie dann aber auf japanisch angesprochen werden, fällt ihnen sichtlich ein Stein vom Herzen. Spricht der Ausländer jedoch allzu gut Japanisch, so löst das mitunter Scham bei ihnen aus – die Scham, trotz der vielen Jahre des Unterrichts an der Schule nicht wenigstens annähernd so gut Englisch sprechen zu können.
So darf man sich also bei der Begegnung mit Japanern weder über mangelnde als auch über exzellente Englischkenntnisse wundern – beides ist möglich. Und genauso wie bei uns in Deutschland, spricht auch in Japan das Management leidlich gut bis ausgezeichnet Englisch, während sich Techniker eher schwerer mit Fremdsprachen tun und diese ja auch seltener im Tagesgeschäft brauchen.Bei Honda haben neuerdings die Mitarbeiter, die mit dem Ausland zu tun haben noch fünf Jahre Zeit, ihre Englischkenntnisse aufzubessern bevor sie 2020 offiziell ausschließlich in dieser Sprache kommunizieren sollen. Schon heute kommen nur 32 % der Honda-Belegschaft aus Japan. Sollen dort Arbeitsplätze erhalten bleiben, müssen neben dem Management auch Sekrätärinnen und Entwicklungsingenieure fließend Englisch sprechen.
Trotzdem wird auf Dauer der Beruf des Dolmetschers oder Übersetzers nicht aussterben. Der Markt für Dolmetschleistungen Japanisch – Deutsch und Japanisch – Englisch wird noch so lange bestehen, wie sich der Fremdsprachenunterricht besonders in Japan, aber auch in Deutschland nicht so verändert, dass eher visuell und haptisch lernende Naturwissenschaftler und Techniker sich leichter tun.
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